Die Passagierin: Von tiefster Menschlichkeit in der Hölle

„Sie alle haben uns gehasst, Walter! Ich … wir alle, die wir im Lager Dienst taten, konnten uns nicht damit abfinden…“, so rechtfertigt die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa Franz ihre Grausamkeiten an den Frauen im Internierungslager gegenüber ihrem Mann. Welch perfide Umdeutung der Realität und Umkehrung der Täter- und Opferrolle.

Sie befindet sich nun – einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg – mit ihrem Mann Walter auf der Überfahrt nach Brasilien. Dieser soll hier ein diplomatisches Amt antreten. Auf dem Übersee-Luxusliner meint sie die ehemalige KZ-Insassin Marta wiederzuerkennen. Diese Begegnung lässt sie erstarren, kann es doch eigentlich nicht sein. Aus dem „Block“ in Auschwitz kam niemand lebend wieder raus. So zweifelt sie zunächst an ihrer Ahnung. Bald jedoch stellt sich heraus, dass die geheimnisvolle Passagierin tatsächlich Marta – die ehemalige Gefangene in der Hölle von Auschwitz – ist.

Ausgerechnet sie, Lisa, hatte durch eine Intrige, mit der sie Martas Bereitschaft als Spitzel für sie zu arbeiten erpressen wollte, dazu beigetragen, dass Martas Verlobter, der Musiker Tadeusz von SS-Schergen umgebracht wurde. Dieser war ebenfalls in Auschwitz interniert und sollte den Lieblingswalzer des Lagerkommandanten auf der Geige vorspielen, weigerte sich aber und spielte stattdessen eine Chaconne von Bach. Was die Schergen des Lagers so provozierte, dass sie Tadeusz im Beisein von Marta brutal zu Tode knüppelten.

Szenen wie diese machen diese Oper so eindringlich, zeigen sie doch die Ausweglosigkeit der inhaftierten Frauen und die Brutalität der Todesmaschinerie, die von Menschen betrieben wird. Menschen, die um dem Führer zu gefallen, andere Menschen vernichten und bedauern, nicht noch leistungsfähiger dabei zu sein. „Wir säubern die Erde für das Große, das Deutsche Reich. Hier in Auschwitz machen wir Geschichte“.

Im krassen Gegensatz dazu geht es ans Herz, wie die inhaftierten Frauen zusammenhalten, wie sie mit bescheidensten Mitteln Martas Geburtstag feiern, wie Katja aus Smolensk eine russische Weise zu ihrem Ehrentage singt. Es sind diese Szenen der Oper, die zeigen, dass tiefste Menschlichkeit selbst in der Hölle möglich ist. Die Oper zeigt, wie die unterschiedlichen Frauenpersönlichkeiten die Situation verarbeiten. Katja, Krystina, Vlasta, Hannah, Yvette und Bronka. Sie kommen aus den von Deutschen besetzten Gebieten, aus Warschau, Kiew, Zagreb, Prag, Minsk, Paris, Dijon und jede von Ihnen hat ihre Art das Grauen durchzustehen. Die Alte, die wahnsinnig geworden ist, andere, die Trost in Gott suchen oder fatalistisch werden. Eine biedert sich als Spitzel dem System an. Marta glaubt an die Liebe und Menschlichkeit, was ihr Mut und Unbeugsamkeit verleiht. Eigenschaften die Aufseherin Lisa provozieren; sie will Marta brechen.

Großartig wie Mieczyslaw Weinberg die Musik einsetzt, die Wechsel der Szenerie zwischen Luxusdampfer und Lagerleben in Auschwitz auch musikalisch zu kontrastieren. Auch ironische Brechungen sind hier musikalisch eingearbeitet. So hat er in den Szenen die auf dem Überseedampfer spielen einige Elemente der Jazz- und Unterhaltungsmusik eingearbeitet. Die Szenen im Lager sind immer drängend, auch mal sperrig ohne liedhafte Melodien, sondern eher rezitativ angelegt. Das verstärkt die anklagende Tonalität des Gesangs. Trotzdem bleibt der Gesang, wenn auch nicht gefällig, so doch gut hörbar. Bemerkenswert ist, dass die Sängerinnen auf Deutsch. Polnisch, Jiddisch, Französisch und Russisch singen. Besonders eindringlich sind hier die Chorpassagen, die die Unausweichlichkeit drastisch hervorheben. Etwa, wenn sie die Tür beschreiben, die hier in Auschwitz nur nach innen aufgeht. Aus einem Lager oder einem Gefängnis kann man in die Freiheit entlassen werden, nicht aber von hier. Es geht nahe, wenn der Chor die schwarze Todeswand als Endstation des Lebens beschwört, vor der das Blut niemals kalt wird.

Die Inszenierung überzeugt auf der ganzen Linie durch Stimmigkeit. Das Bühnenbild wechselt kaum. Alle Szenen spielen in der Hotelbar, was gerade bei den Lageszenen im bizarren Kontrast steht. Gesanglich waren alle Partien sehr gut besetzt. Hervorzuheben sind aber besonders die Partien von Marta (Ilia Papandreou), Lisa (Hanna Dóra Sturludóttir), der russischen Gefangenen Katja (Alfia Kamalova) und den SS-Männern (Joachim G. Maaß, Oliver Aigner und Tobias Glagau). Die Darsteller überzeugten nicht nur gesanglich sondern auch schauspielerisch. Der junge finnische Dirigent, Valtteri Rauhalammi, führte das Orchester des MIR souverän durch die zwei Akte.

Diese Oper nach dem gleichnamigen Buch von Zofia Posmysz sollte eigentlich zum Standardrepertoire an deutschen Bühne gehören. Dem MIR ist damit ein echter Glücksgriff gelungen, zumal bei der Premiere die über 90-jährige Autorin anwesend war. Die Begegnung der beiden Frauen auf der Überfahrt ist frei erfunden, nicht aber die Brutalität und bisweilen gelangweilte Grausamkeit der Täter und die tiefe Menschlichkeit der Schicksalsgemeinschaft. (ChG)

Foto: Musiktheater im Revier – Die Passagierin: Papandreou, Kamalowa, Oehlschläger, Sturludottir. Foto: Forster / MIR

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