Der Käfig heißt „Eigentlich“

Gedanken zum ersten Satz des Essays „Dies ist für Männer, die sich nicht drum scheren…“ von Alex White

Wow, was für ein Text des Australiers Alex White, der Mut macht und Kraft gibt, es anders zu versuchen als dem Klischee vom erfolgreichen, starken und immer zur Fortpflanzung bereiten Helden zu entsprechen. Von Männern, die die Anstrengung kennen, die mit dieser Erwartung verbunden ist und denen anderes viel wichtiger ist. Männer, die endlich sie selbst sein wollen und wie der englische Originaltext in der Überschrift sagt „who give a fuck…“ auf das, was andere sagen und denken.

Gestern bei den Tango-Chicos haben wir lange über den ersten Satz dieses Textes gesprochen. „Die Männer, die als erste aus dem Käfig ausbrechen.“ Eine erstaunlich offene Runde für Männer mittleren und gesetzteren Alters, die sich seit maximal einem halben Jahr kennen und sich montags nur für ein paar Stunden bei den Chicos begegnen. „Als erste aus dem Käfig ausbrechen…“, welche Vorstellung, die Befreiung aus den Zwängen des Alltags, aus der Enge meiner Stadt, meiner Beziehung, meiner Verpflichtungen. Endlich das Korsett sprengen.

Aber ist es wirklich der große Ausbruch, den wir suchen? Was, wenn es nichts weiter als purer Egoismus ist, den wir dann leben und zwar auf Kosten anderer. Was, wenn nach einer Weile der Euphorie, die Ernüchterung einsetzt? Was, wenn wir erkennen, dass zwar die alten Zwänge weg, dafür aber neue an ihre Stelle getreten sind? Was, wenn wir gewahr werden, dass wir durch Aktionismus nur vor uns selbst weglaufen, und uns am Ende das eigene Ego doch wieder einholt, Hase und Igel? Was, wenn wir diese „Freiheit“ gar nicht ertragen können?

Ja es gibt sie, die Teufelskerle. Weck den Hemingway in Dir: Großwildjäger und Frauenheld. Ja, ein bisschen so zu sein wünscht sich doch jeder von uns Kerlen. Wie der Amerikaner, der mit seinem Schreibstil Generationen von Autoren und ein Lebensgefühl der Männlichkeit prägte. Der sich selbst inszenierte und am Ende vielleicht doch nicht glücklich war. Wer will das sagen? Der große Wurf, spreng die Ketten überschreite die Grenzen! Aber sind Teufelskerle noch zeitgemäß? Funktioniert die Welt wirklich nach dem Trump- und Putin-Prinzip? Man könnte den Eindruck gewinnen dass, aber ich habe noch Hoffnung, auf das Gegenteil.

Ich glaube, wir hätten schon viel gewonnen, wenn wir einfach mal anfingen unseren Käfig bis an dessen vermeintliche Gitterstäbe zu erkunden und unsere Freiheiten auszuloten. Vielleicht ist er ja viel größer als angenommen. Wer sagt denn überhaupt: „Hier ist Dein Käfig zu Ende.“ Sind es wir nicht meistens selbst? Der Vogel muss nicht verlernt haben zu fliegen, manchmal helfen aber ein paar Flugstunden um sich – dann aber anders gegründet – auf den Flug in die Freiheit zu begeben. Dann ist der Impuls eher die Neugierde als die Befreiung – von wem und was auch immer.

Ich will hier nicht der Piefigkeit das Wort reden. Befreiung hat etwas mit Auflehnung gegen Unrecht und Unterdrückung zu tun, ein politischer mithin auch ganz persönlicher Akt. Viele große Entdeckungen und Impulse für die Welt sind entstanden, weil Menschen sich aufgelehnt haben, ihrer Enge entflohen sind, sich auf den Weg in andere Hemisphären gemacht haben. Entdecker, Ausnahmeerscheinungen, Genies, Multitalente: Vielleicht steckt etwas davon in jedem von uns. Es lohnt auf jeden Fall, sich immer wieder selbst die Frage zu stellen: Ist das was ich tue, noch das, was ich „eigentlich“ wollte? Merkwürdig, warum das Wörtchen eigentlich so vertrackt ist. Im Grund ist es dieses Wort, das am besten die Enge des Käfigs benennt, den wir uns mehr oder weniger selbst gezimmert haben. Eigentlich wollte ich doch…  (Christoph Grätz)

Hier geht´s zum Text von Alex White im Original „For Men, Who Give a Fuck“ http://www.alexwhite.com.au/for-men-who-give-a-fuck/

Das Foto oben ist von Mira Mikosch. http://www.miramikosch.com

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